Essstörungen

Unter dem Oberbegriff Essstörungen werden drei wichtige und eindeutige Syndrome beschrieben: Anorexia nervosa (Magersucht), die Bulimia nervosa (Bulimie oder Ess-Brecht-Sucht) und Binge Eating Störung (Fressanfälle). Etwa 5 bis 10% der postpubertären Mädchen weisen eine Essstörung auf. 0,7% aller heranwachsenden Frauen leiden an einer Anorexie, 1-2% an einer Bulimie.  Besonders gefährdet sind nach wie vor junge Frauen in unserer westliche Welt, Depressionen, Drogen und Alkoholmissbrauch, Fettsucht, übergewichtige Eltern, Eltern die wenig Kontakt mit ihren Kindern, dafür aber hohe Erwartungen an diese haben, sexueller Missbrauch, Diäten in der Familie, niedriges Selbstwertgefühl, Perfektionismus, Angst oder Angststörungen, dick sein als Kind oder Jugendliche, frühe Regelblutung – all diese Faktoren vergrößern das Risiko. 

Anorexia nervosa

Die Anorexia nervosa ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen.Diagnostische Leitlinien sind:

  • Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder body-mass-index von 17,5 oder weniger. Bei Patientinnen in der Vorpubertät kann die erwartete Gewichtzunahme während der Wachstumsperiode ausbleiben.
  • Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:
    -Vermeidung von hochkalorischen Speisen; sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen:
    -selbst induziertes Erbrechen;
    -selbst induziertes Abführen;
    -übertriebene körperliche Aktivitäten;
    -Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.
  • Körperschema-Störung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die Angst, zu dick zu werden, besteht als eine tiefverwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
  • Eine hormonelle Störung: Sie manifestiert sich bei Frauen als Ausbleiben der Periodenblutung und bei Männern als Libido- und Potenzverlust. (Ausnahme bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen.).
  • Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt (Wachstumsstopp; fehlende Brustentwicklung und primäres Ausbleiben der Menses beim Mädchen; bei Knaben bleiben die Genitalien kindlich).

Bulimia nervosa

Die Bulimia nervosa (Bulimie) ist durch wiederholte (in vergangenen 3 Monaten im Durchschnitt zweimal pro Woche oder mehr) Anfälle von Heisshunger (Essattacken) und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert. Dies veranlasst die Patientin, mit extremen Massnahmen den dickmachenden Effekt der zugeführten Nahrung zu mildern (Erbrechen oder/ und Abführmittel; Fasten von 24 Stunden oder länger oder exzessive sportliche Leistungen). Die Alters- und Geschlechtsverteilung ähnelt der Anorexia nervosa, das Alter bei Beginn liegt geringfügig höher. Die Störung kann nach einer Anorexia nervosa auftreten und umgekehrt. Wiederholtes Erbrechen kann zu Elektrolytstörungen und körperlichen Komplikationen führen (Tetanie, epileptische Anfälle, kardiale Arrhythmien, Muskelschwäche), sowie zu weiterem starken Gewichtsverlust.Diagnostische Leitlinien sind:

  • Eine andauernde Beschäftigung mit Essen, eine unwiderstehliche Gier nach Nahrungsmitteln; die Patientin erliegt Essattacken, bei denen grosse Mengen Nahrung in sehr kurzer Zeit konsumiert werden.
  • Die Patientin versucht, dem dickmachenden Effekt der Nahrung durch verschiedene Verhaltensweisen entgegenzusteuern: selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, zeitweilige Hungerperioden, Gebrauch von Appetitzüglern, Schilddrüsenpräparaten oder Diuretika.
  • Eine der wesentlichen psychopathologischen Auffälligkeiten besteht in der krankhaften Furcht davor, dick zu werden. Häufig lässt sich in der Vorgeschichte mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren eine Episode einer Anorexia nervosa nachweisen.

Binge Eating

“To binge” kommt aus dem Amerikanischen und heißt übersetzt “ein Fressgelage abhalten”. Für die Bezeichnung “Binge-Eating-Störung” gibt es zurzeit noch keine offizielle deutsche Übersetzung.

Das wesentliche Kennzeichen der Binge-Eating-Störung ist das wiederholte Auftreten von Heißhungerattacken bzw. “Fressanfällen” ohne regelmäßig angewandte Maßnahmen, die einer Gewichtszunahme entgegen wirken sollen. Darin unterscheidet sich die Binge-Eating-Störung von der Bulimie. Häufig leiden die Betroffenen auch an Übergewicht (BMI 25–30) oder Adipositas (BMI > 30).Von einem “Fressanfall” spricht man:

  • wenn in einem begrenzten Zeitraum eine Nahrungsmenge gegessen wird, die wesentlich größer ist, als die meisten Menschen in diesem Zeitraum essen würden
  • wenn es zu einem Kontrollverlust über das Essen kommt, z. B. zu dem Gefühl, dass man einfach nicht mehr aufhören kann zu essen und auch nicht mehr steuern kann, was und wie viel man zu sich nimmt

Alarmsymptome

  • verhüllende, zu warme Kleidung
  • Kaugummi kauen (Betäuben des Hungergefühls, orale Fixierung)
  • blaue Hände, Füsse, Lippen (Kälteempfindlichkeit)
  • starke Gewichtsschwankungen
  • Hamsterbacken, obwohl sonst sehr dünn (Speicheldrüsenschwellung)
  • scheint häufig mit Gedanken woanders zu sein
  • kann schlecht stillsitzen (Bewegungsdrang zwecks Kalorienverbrennung)
  • keine oder nur unregelmässige Periodenblutung
  • Zahnprobleme
  • selten Bissspuren auf Händen (durch Provokation des Erbrechens, dabei häufig die ganze Hand nötig) – man muss dazu sagen, dass Frauen, die unter Bulimie leiden, meist  auf Knopfdruck erbrechen können, und zwar ohne sich irgendetwas in den Rachen zu stecken. Der Körper lernt dies nach ein paar Monaten.